Wenn das schlechte Gewissen immer mit am Küchentisch sitzt
Montagmorgen, 7 Uhr. Die Brotdosen werden befüllt, irgendwo unter dem Tisch liegt wahrscheinlich schon wieder ein Turnbeutel. Dein Kind sitzt mit knautschigem Gesicht über den Deutschhausaufgaben – und du spürst diese altbekannte Mischung aus Frust, Sorge und, ja, Schuld, die sich in deinem Bauch zusammenbraut.
Kommt dir das bekannt vor? Dann weißt du vermutlich, was es bedeutet, Mutter eines Kindes mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten zu sein. Vielleicht gehörst du auch zu denjenigen, die sich regelmäßig fragen: „Mache ich genug? Habe ich einen Fehler gemacht? Was hätte ich anders tun sollen?“
Das Gefühl, ständig „alles falsch“ zu machen, ist ein ziemlich hartnäckiger und wirklich unhöflicher Dauergast. Manchmal trifft es dich mit voller Wucht beim Elternsprechtag, manchmal kriecht es leise am Abend in dein Herz, wenn du deinem Kind beim Lesen zusehst und spürst, wie schwer es ihm fällt. Es ist wie ein Schatten, der sich selten abschütteln lässt.
Von Selbstzweifeln und der Angst, nicht zu reichen
Vielleicht erkennst du dich in einer Szene wieder wie dieser: Du kämpfst Stunde um Stunde am Esstisch, übst Silben, klatschst Rhythmen, sagst voller Geduld das nächste Wort vor – und trotzdem kommt ihr gefühlt keinen Schritt weiter. Im Kopf läuft das Gedankenkarussell: „Warum klappt das bei uns nicht?” „Warum funktioniert die Methode der Lehrerin nicht auch für mein Kind?“ „Bin ich zu ungeduldig, zu wenig empathisch, zu streng, zu nachsichtig – oder einfach alles zusammen?“
Und vielleicht vergleichst du dich (wer könnte es dir verübeln?) mit den anderen Eltern auf dem Schulhof, deren Kinder scheinbar ohne große Mühe durch die Diktate segeln.
Ehrlich gesagt, du bist definitiv nicht allein. Viele Mütter fühlen sich hilflos oder sogar schuldig, weil sie glauben, für die Herausforderungen ihrer Kinder verantwortlich zu sein. Manche wühlen sich durch Ratgeber, verbringen Abende in Internetforen, klicken sich von Experten-Tipps zu Selbsthilfeblogs und wünschen sich insgeheim einfach eine Pause vom Leistungsdruck – für sich UND ihr Kind.
Selbstfürsorge ist kein Egoismus, sondern ein Rettungsanker
Es gibt einen wichtigen Satz, den ich für mich entdeckt habe: „Du kannst nur für andere da sein, wenn es dir selbst gut geht.“ Klingt erstmal abgedroschen, oder? Und trotzdem steckt so viel Wahrheit darin. Stell dir vor, wie du im Flugzeug sitzt und die Stewardess die Sicherheitsanweisungen erklärt: „Zuerst die eigene Maske aufsetzen, dann dem Kind helfen.“
Du kennst das Bild – aber wann hast du das letzte Mal im Alltag deine eigene „Sauerstoffmaske“ aufgezogen?
Ein Beispiel aus meinem Alltag: Nach einem besonders chaotischen Schultag, der in Tränen endete (bei meinem Sohn UND bei mir), habe ich bewusst beschlossen, abends für eine halbe Stunde spazieren zu gehen – nur für mich. Keine Listen im Kopf, keine To-do’s. Einfach durchatmen und kurz nicht an Deutsch-Noten denken. Danach hatte ich mehr Kraft, auch mein Kind zu trösten und ihm zuzuhören.
Das klingt vielleicht nach wenig, aber es kann Wunder wirken. Ein kleiner Spaziergang, eine Tasse Tee mit einer Freundin, ein Lieblingslied im Radio oder ein Gespräch mit jemandem, dem du vertraust – das sind Mini-Inseln der Selbstfürsorge. Sie helfen, die akuten Wellen von Überforderung abzuflachen, damit du wieder klarer sehen kannst.
Sich Hilfe zu holen zeigt Größe – nicht Schwäche
Ein offenes Herz bedeutet nicht, dass du alles allein schaffen musst. Tausche dich aus – mit anderen Eltern, Freunden oder Fachleuten. Vielleicht gibt es Mütter in deiner Nachbarschaft, die ganz ähnliche Hürden nehmen. Manchmal öffnen sich neue Wege, wenn du den Schritt wagst, den ersten Satz auszusprechen: „Ich schaff’s gerade nicht alleine.“
Du wirst staunen, wie viele Leute nicken und sagen: „Geht mir genauso!“
Darüber hinaus: Experten und Trainer*innen, die sich auf Lese-Rechtschreib-Probleme spezialisiert haben, können nicht nur deinem Kind, sondern auch dir den Rücken stärken. Sie helfen dabei, Ursachen zu erkennen und individuelle Hilfen zu entwickeln – damit aus dem täglichen Schulfrust neue Zuversicht wachsen kann. Und weißt du was? Es ist absolut in Ordnung, diese Unterstützung anzunehmen.
Gemeinsam stark durchs „verflixte siebte Jahr“ und darüber hinaus
Letztlich kann es in den schweren Momenten helfen, sich klarzumachen: Dein Kind sucht keine „perfekte Mutter“, sondern einfach DICH – ganz mit deinen Stärken, Schwächen, Sorgen und mit deiner Liebe. Die wichtigste Unterstützung, die du ihm bieten kannst, ist dein Verständnis und deine Fähigkeit, auch für dich selbst da zu sein.
Und aus unzähligen Gesprächen weiß ich: Es wird leichter, wenn du beginnst, dich nicht mehr an der Perfektionslatte anderer Eltern zu messen, sondern deiner eigenen Intuition zu vertrauen.
Also, liebste Mama – lass das schlechte Gewissen ruhig mal draußen im Flur stehen und hol dir eine Portion Nachsicht, für dich und dein Kind. Überforderung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Signal: Du machst dir Gedanken. Du fühlst. Du bist da, ganz echt. Und das ist mehr, als du glaubst.
0 Kommentare